Chancen und Herausforderungen

Chancen und Herausforderungen

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„Das Auslandsmessegeschäft zählt mittlerweile zu den unverzichtbaren strategischen Geschäftspfaden“

Die Präsenz im Ausland wird für die deutsche Messewirtschaft immer wichtiger. Im Interview erklärt Professor Dr. Thomas Bauer, welche Faktoren und Strategien das internationale Engagement maßgeblich beeinflussen.

Professor Dr. Thomas Bauer leitet den Studiengang für BWL – Messe-, Kongress- und Eventmanagement an der DHBW Ravensburg.

© DHBW Ravensburg

Deutsche Messegesellschaften haben neben ihren starken Messen in Deutschland seit vielen Jahrzehnten ein reges Auslandsmessegeschäft. Was sind die Gründe dafür?

Die Internationalität des Messegeschäfts ist gelebte Realität. Meine Gespräche mit hochrangigen Akteuren der deutschen Messegesellschaften bestätigen die grundlegende Erkenntnis, dass das Auslandsmessegeschäft mittlerweile zu den unverzichtbaren strategischen Geschäftspfaden zählt und vor dem Hintergrund der Globalisierung ihre Lebensversicherung darstellt. Die Gründe liegen in den Marktbedürfnissen der Aussteller und Fachbesucher, aber auch im strategischen Interesse der Messegesellschaften und ihrer inländischen Veranstaltungen.

Ausstellende Unternehmen entwickelten schon früh die Nachfrage nach Marktzutritt zur Vermarktung ihrer Produkte und Leistungen mithilfe internationaler Messen. Da ausschließlich gewerbliche Fachmessen internationalisiert werden, erfüllt die Tätigkeit auch das Bedürfnis der B2B-Abnehmer, nahe ihren Heimatmärkten Treffpunkte und Anlässe zur Beschaffung und zur Netzwerkpflege zu erhalten. Teilweise überbrücken die Auslandsveranstaltungen bis heute Reisehemmnisse.

Die Welt hat sich aber auch gewandelt. Erzeuger- und Abnehmermärkte haben sich verschoben. Was früh mit der Textilproduktion begann, die sich weitgehend vollständig nach Asien verlagerte, findet heute auch in Hightech-Märkten statt. Anders gesagt, sowohl die Abnehmer als auch die Anbieter für Maschinen der Textilproduktion sind nicht mehr primär in Europa. Wenn beispielsweise auch die größte Veranstaltung der Automechanika-Messefamilie nicht mehr in Frankfurt stattfindet, sondern in Shanghai, dann ist das auch in Märkten mit klassisch europäischer Kompetenz ein Zeichen. Die Veranstalter gehen dorthin, wo ihr Markt stattfindet.

Dubai und Riyadh in Saudi-Arabien bleiben eine relevante Schnittstelle zwischen Ost und West und Afrika.

© Deutsche Messe AG

Das ist aber nur der Blick auf den jeweils lokalen Markt. Die Chance der Messeveranstalter ist die Marktkenntnis der internationalen Aussteller, die sich bei großen Messefamilien ergeben. Die Synergien in der Ausstellerakquise unter einer Dachmarke sowie die internationale Branchenkompetenz der Messefamilien werden immer wieder übersehen. Ganz konkret sind der Austausch zu Marktbedürfnissen, Handlungsspielraum bei Preismodellen und mehrere Kontaktpunkte zwischen Veranstalter und Aussteller als Nutzen zu testieren – die Wege zu den global ausstellenden Kunden sind kürzer.

In der Summe sind sowohl Heimatmesse als auch Auslandsmessen stärker, da weltweit relevanter. Das Portfolio der Light & Building wächst beispielsweise 2025 um drei auf neun Veranstaltungen insgesamt, mit hohen Synergien in der Ausstellerteilnahme sowie in differenzierten Zusammenstellungen der Ausstellungsschwerpunkte im Kompetenzbereich Gebäudetechnik der Messe Frankfurt – Light & Building, Intersec und ISH –, sprich zugeschnitten auf die Marktakteure vor Ort. Teilweise werden Themen aber auch rein marktspezifisch um spezielle Marktsegmente erweitert, etwa um die Themen Mining in Südamerika und Luftreinhaltung in China im Bau- und Baumaschinencluster der Messe München.

Der Weg, mit etablierten Kunden und den entstehenden Märkten zu internationalisieren, bleibt die Chance, Wachstum zu erzielen, die Heimatveranstaltungen und Messemarken hochrelevant zu halten und damit auch anspruchsvolle Infrastruktur in Deutschland zu finanzieren und zu pflegen.

„Die Synergien in der Ausstellerakquise unter einer Dachmarke sowie die internationale Branchenkompetenz der Messefamilien werden immer wieder übersehen.“

Wie beeinflusst die geopolitische Lage die Auslandsstrategien der deutschen Veranstalter?

Das macht allen wirtschaftlichen Akteuren weltweit Sorge. Tarifäre und nicht tarifäre Handelshemmnisse sowie Migrationsfragen scheinen nur indirekt mit der Messebranche verbunden zu sein. Aber natürlich müssen Exponate verzollt werden, Märkte trotz Zöllen attraktiv bleiben und Geschäftsreisende vor Härten im Visumsprozess geschützt sein.

Die größten handelspolitischen Auseinandersetzungen drohen zwischen den USA und China. Hinter vorgehaltener Hand wird bei Messegesellschaften auch ein Szenario mitgedacht, in dem sich Aussteller, gegebenenfalls auch nur temporär, für ihre Marktschwerpunkte entscheiden müssen. Sollte dieses Szenario eintreten, will man in mehreren Regionen der Welt gut aufgestellt sein, um relevante Marktplätze für die stärker getrennten Märkte zu bieten.

Wenn ein europäisch-japanischer Großaussteller auf seinem 700-Quadratmeter-Stand bei der China International Machine Tool Show (CIMT) in Beijing mit dem Slogan „Made in China – for China“ ausstellt, dann sind dies klare Signale und Marktbekenntnisse. Gerade China hat trotz relativ abgekühltem Wirtschaftswachstum allein durch die enorme Marktgröße für viele Aussteller größere Relevanz als Europa.

Zuletzt stiegen Unternehmen aus dem Russlandgeschäft aus, China wird von manchen kritisch gesehen. Wird auch das US-Engagement reduziert?

Das Russlandgeschäft ist zum Stillstand gekommen und wird wohl auf Sicht nicht wieder interessant. Kasachstan und ASEAN-Märkte werden hingegen als Alternativen genannt.

Über das Engagement in China habe ich aus wirtschaftlicher Perspektive hingegen nichts Kritisches gehört. Die angesprochene CIMT in Beijing ist dank neuer Hallen 2025 auf 310.000 Quadratmeter gewachsen – sie hat sich gegenüber 2023 mehr als verdoppelt. Trotzdem bleibt China aufgrund erschwerter Lebensbedingungen für Europäer und der Abhängigkeit von Partnern volatil.

Von einer Reduktion des US-Engagements habe ich bislang nichts gehört, wenngleich die Unsicherheit durch wöchentlich wechselnde Ankündigungen hinsichtlich Zöllen, staatlicher Programme und Migrationsthemen dem Messemarkt USA nicht hilft. Trotzdem wurde mir beispielsweise vonseiten der NürnbergMesse von Projekten berichtet, die sich von Partnern emanzipieren, neu etablieren oder angedacht werden. Auch hier gilt: Nordamerika ist allein aufgrund seiner absoluten Marktgröße immer relevant.

© Zeit Online, 27. Mai 2025, Messe Berlin fährt Rekordergebnis ein

© Kölner Stadt-Anzeiger, 3. Mai 2025, Seite 13

Mehrere Messegesellschaften planen Neuveranstaltungen und Kooperationen auf der Arabischen Halbinsel. Was spricht für ein Engagement dort?

Dubai und Riyadh in Saudi-Arabien bleiben eine relevante Schnittstelle zwischen Ost und West und Afrika. Istanbul hat eine ähnliche Marktposition im arabischen Raum. An allen drei genannten Standorten wurde massiv in Messe- und Flughafeninfrastruktur investiert, weshalb die Erreichbarkeit durch internationale Flugverbindungen sowie moderne Hotellerie und Messezentren als Treffpunkte hochattraktiv sind. Nicht zufällig eröffnet die Messe Frankfurt eine Niederlassung, andere wie die Messe Düsseldorf verstärken Partnerschaften und veranstalten Messen in Riyadh. Starke Kaufkraft von Akteuren mit kurzen Entscheidungswegen sowie hochrangige Begegnungen werden als Gründe angeführt.

Die Dynamik dort ist hingegen eine andere: Statt Exponate auszustellen, wird dort Beziehungsgeschäft gemacht. Kontakte und Vertrauen werden aufgebaut, Einladungen werden ausgesprochen und Vertriebspartnerschaften gepflegt. Messe ist mehr als ein Produktmarktplatz. Das People’s Business findet dort mit kleineren Messeständen, aber hochrangigen Vertretern statt.

Die Internationalisierung wird sich weiter intensivieren, dabei ist Diversifizierung ein unverzichtbares Thema.

Internationalisierung ade oder Diversifizierung durch Internationalisierung? Wohin geht die Reise? Wie wandelt sich die Globalisierung?

Die Globalisierung ist als dynamischer Prozess mit Verschiebungen und Erweiterungen von Märkten zu verstehen. Sie betrifft alle Branchen, aber in unterschiedlicher Geschwindigkeit und mit unterschiedlichen Auswirkungen. In manchen Sektoren wie der Textilindustrie haben sich die Märkte von Maschinenbau und Produktion nach Asien verlagert, in anderen nur die Märkte erweitert oder Komponenten kommen aus Asien. Indien wird als „next China“ benannt, über Afrika wird weiter wenig gesprochen.

Die Internationalisierung wird sich weiter intensivieren, dabei ist Diversifizierung ein unverzichtbares Thema. Die Messegesellschaften möchten ihre Themen international besetzen, auch um Wettbewerber aus diesen Themen fernzuhalten. Aber auch die Sorge um die Abschottung einzelner geografischer Räume führt dazu, dass man an vielen Orten seine Themen und Veranstaltungen positioniert haben möchte.

„Während der deutsche Absatzmarkt weitgehend gesättigt ist, können deutsche Messeveranstalter im Ausland wachsen und trotzdem die Kernmarke und -veranstaltung in Deutschland als Kopf der Weltleitmessefamilie hochhalten.“

Ferner gibt es weiter die Chance auf First-Mover-Effekte, gerade in Indien und Südostasien. Beispielsweise verlagern sich derzeit Branchen mit Niedriglohnproduktion von China in andere Länder. Das betrifft Beschaffungsthemen, aber auch die Logistik, weshalb die Messe München eine neue Veranstaltung, transport logistic Southeast Asia, in Singapur angesiedelt hat.

Zwar stimmt das Credo weiter, dass deutsche Messegesellschaften mit ihren Auslandsmessen den heimischen und den europäischen Unternehmen die Tür zu internationalen Märkten aufhalten, unter anderem mithilfe des Auslandsmesseprogramms des Bundes. Aber es trifft ebenfalls zu, dass internationale Märkte sich emanzipieren. Ihre Suche nach Absatzwegen braucht Messen – in den USA, in Europa, in Asien und im arabischen Raum. Während der deutsche Absatzmarkt weitgehend gesättigt ist, können deutsche Messeveranstalter im Ausland wachsen und trotzdem die Kernmarke und -veranstaltung in Deutschland als Weltleitmesse oder, korrekter gesagt, als Kopf der Weltleitmessefamilie hochhalten. Der deutsche Messemarkt bleibt deshalb attraktiv, da die Akteure überall auf der Welt in ihren Branchen jeweils führende Rollen anstreben und diese, teilweise in pragmatischen Kooperationen, verteidigen und sogar ausbauen.

Das Interview führte Anne Böhl, Managerin Media im AUMA.

Professor Dr. Thomas Bauer (Jahrgang 1979) ist seit 2014 als Professor und Studiengangsleiter im Studiengang BWL – Messe-, Kongress- und Eventmanagement der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Ravensburg tätig. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre promovierte er im Marketing und sammelte Erfahrung in Leitungsfunktionen im CRM/Kundenmanagement im E-Commerce und Tourismus bei der 1&1 Internet AG sowie der hotel.de AG. Seit 2008 ist er im Veranstaltungsmanagement in einem selbst gegründeten Unternehmen in Philadelphia, USA, tätig und leitet bis heute Veranstaltungsprojekte.

Für das Interview führte er vorab Gespräche mit Mitgliedern der Geschäftsführung, Business-Development-Verantwortlichen und Projektleitern deutscher Messegesellschaften sowie mit Vertretern von Weltmarktführern als Ausstellenden.